Ulica Tamka 23 – Die verdrängte Erinnerung an das Wasseralfinger KZ

Veranstaltung in der Stadtkirche Aalen am 8. Mai 2022

 

Vierzehn Bewohner des Hauses Tamkastr. 23 wurden im September 1944 von deutschen Truppen aus Warschau verschleppt, sieben von ihnen gruben später als KZ-Häftlinge Stollen für die Firma Alfing Keßler in den Braunenberg. Nur drei der sieben haben über­lebt. Wie ihnen erging es Tausenden.

In Aalen hat man auch die Erinnerung an das Wasseralfinger KZ sorgsam vergraben – bis heute. Eine überfällige Rekonstruktion.

Luftbild Ulica Tamka 1945, Quelle: http://mapa.um.warszawa.pl

Das Wasseralfinger KZ-Außenlager „Wiesendorf“ ist bis heute ein kaum bekanntes, verdrängtes Kapitel der Stadtgeschichte. Seit der verdienstvollen Arbeit des ehemaligen Stadtarchivars Bauer, der über das Lager schon 1984 publizierte, hat 35 Jahre lang keinerlei weitergehende Forschung mehr stattgefunden. Die ist nun in Privatinitiative wieder in Gang gekommen und mittlerweile liegen eine Fülle neuer Erkenntnisse vor. Diese Erkenntnisse wollten wir mit dieser Veranstaltung der Öffentlichkeit vorstellen. Dargelegt wurde dies anhand des Schicksals einer Warschauer Hausgemeinschaft (eben jener Tamkastr. 23), aus der sieben der Wasseralfinger Häftlinge stammten.

 

 

Mitschnitt:

Teil 1: Frédéric Chopin: Prélude op.45 cis-moll – Grußwort Pfr. Bernhard Richter

 

Teil 2: Ulica Tamka – Warschau – Powiśle – Pruszkòw – Frédéric Chopin: Prélude f-moll / Prélude Des-Dur op.28

 

Teil 3: Orléans – Frédéric Chopin: Mazurka gis-moll op.33,1

 

Teil 4: Dachau – Wasseralfingen – Frédéric Chopin: Klaviersonate h-moll op.58, 3. Satz, Largo

 

Teil 5: Epilog: Aalen – Frédéric Chopin: Nocturne H-Dur op.62,1

 

 

Quelle: Wikipedia.org (pl)

Prof. Stefan Kieniewicz
(1907-1992)
Gefangener in Wasseralfingen
(Photo ungefähr 1983)

 

 

 

 

Das große Schweigen

 

Copyright Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg; Veröffentlichung mit Erlaubnis der Rechteinhaberin

Die Schilderung der damaligen Ereignisse lässt sich – leider – nicht von dem  beklagenwerten Umgang der Stadt Aalen und des Ostalbkreises mit diesem schwierigen Teil der Stadtgeschichte trennen. Das Stadtarchiv hat die Arbeit des Stadtarchivars Bauer aus den 1980er-Jahren nicht weitergeführt. Stattdessen wurde das KZ Wasseralfingen erneut tabuisiert. Seither sind 77 Jahre vergangen. Im ganzen Land bildeten sich Gedenkstätten-Initiativen, aus denen heraus Gedenk- und Dokumentationsstätten entstanden, die die Forschung nicht zuletzt über die Natzweiler-Außenlager entscheidend voranbrachten. An Aalen und dem Ostalbkreis ist diese Aufarbeitung der Geschichte der Konzentrationslager, die in ganz Baden-Württemberg in den letzten 30 Jahre in Gang kam, vollständig vorübergegangen.

In den 1990er-Jahren begannen Gedenkstätten-Initiativen, Kontakte zu Überlebenden und Familienangehörigen der Opfer aufzunehmen. Sie sammelten Berichte von überlebenden Zeitzeugen. In Aalen ist dies unwideruflich versäumt worden. So können wir nur auf die Arbeit anderer Gedenkstätten verweisen. Das folgende Beispiel mag verdeutlichen, was anderswo geleistet, aber in Aalen versäumt worden ist.

Dabei ist auch eine Korrektur anzubringen. Im Kapitel „Dachau“ (Manuskript S. 18) berichteten wir über die jüngsten Gefangenen des Transports vom 12. September 1944 in das Konzentrationslager Dachau. Dabei stießen wir auf Andrzej Branecki, der als 14-Jähriger bereits die Konzentrationslager Dachau, Mannheim-Sandhofen und Buchenwald zu erleiden hatte. Wir wussten zum Zeitpunkt der Veranstaltung nicht, „ob er Buchenwald überlebt hat“. Nach der Veranstaltung erfuhren wir mehr:

 

Andrzej Korczak-Branecki: Ich habe nichts mehr gefühlt

 

Andrzej Branecki hat überlebt. Nach Buchenwald kam er am 26. 12. 1944, nach der Bombardierung des Mannheimer KZs, von dort aus wurde er im Januar 1945 ins KZ „Katzbach“ zu den Frankfurter Adlerwerken verlegt. Schließlich überlebte er die Todesmärsche nach Buchenwald und von dort aus nach Dachau. In Dachau wurde er schließlich von amerikanischen Truppen befreit. Zum Zeitpunkt seiner Befreiung wog er noch 28 Kilogramm. Andrzej Korczak-Branecki war später ein engagierter Zeitzeuge mit vielfältigen Kontakten auch nach Deutschland. Er starb 90-jährig am 5. 2. 2020. Wir kennen die (Über-) Lebensgeschichte Andrzej Braneckis dank der Arbeit der Gedenkstätten-Initiativen und später auch der Kommunen u.a. in Mannheim und Frankfurt – in Aalen hat sich hingegen nie jemand um die Herstellung solcher Kontakte bemüht.

 

(Mit freundlicher Genehmigung der Initiative gegen das Vergessen – LAGG eV – Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim und Stefanie Grohs)

 

Unser Ziel: Schaffung einer Gedenk- und Dokumentationsstätte Aalen-Wasseralfingen

 

Gedenkstätten an Orten des nationalsozialistischen Terrors sind weit mehr als nur Stätten der Besinnung. Sie sind auch Orte der Dokumentation des Unrechts und der politischen Bildung. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Selbstvergewisserung: Das, was war, kann wieder werden. Deshalb ist es wichtig, zu wissen, was war. Vergessen oder verdrängen wir die dunklen Seiten unserer Geschichte, verlieren wir auch den Maßstab für unser Zusammenleben aus den Augen, und vergessen, warum es wichtig ist, für eine demokratische und an den Prinzipien des Rechts orientierte Gesellschaftsordnung einzustehen.

Todesort und -datum der Wasseralfinger KZ-Häftlinge (Copyright Rüdiger Walter, 2021)

Und: Gedenkstätten leisten einen wichtigen Beitrag zur europäischen Verständigung und Versöhnung. Dorothee Roos, die Vorsitzende des KZ-Gedenkstätte Neckarelz e.V., hat das in der Rückschau so ausgedrückt: „Die Gedenkstätten schauten dorthin, wo es weh tut. Die Gedenkstätten knüpften Kontakte zu Überlebenden oder auch zu den Familien der Toten – in fast allen Ländern Europas und darüber hinaus (…). Sie ließen sich erzählen, was geschehen war – vor der eigenen Haustür, in der eigenen Stadt , im eigenen Landkreis. Das war oft ein sehr schmerzlicher Prozess. Aber siehe da: diese Erzählungen, das Aufschreiben der Geschichten, das Veröffentlichen von Büchern und Filmen vertiefte nicht den Hass, sondern im Gegenteil. Die Erinnerung wirkt heilend, wenn sie im Geiste des Brückenbauens und des Überwindens der Grenzen geschieht. Das gilt bis heute – wir alle können davon viele Geschichten erzählen.“

In Baden-Württemberg ist in den letzten 30 Jahren eine reiches Netzwerk von Gedenkstätten entstanden. 15 Gedenkstätten entstanden alleine an den Standorten von Außenlagern des KZ-Natzweiler-Komplexes, 12 in Baden-Württemberg und 3 in Hessen. Diese 15 Gedenkstätten haben sich 2016 zum Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler e.V. (VGKN) zusammengeschlossen. Gemeinsam mit der französischen Gedenkstätte des Hauptlager Natzweiler-Struthof wurde ihnen 2018 das Europäische Kulturerbesiegel verliehen. Diese Gedenkstätten arbeiten eng zusammen, was u.a. seinen Niederschlag in einem gemeinsamen transnationalen Internetportal und einer kolaborativen Häftlingsdatenbank gefunden hat.

An Aalen und dem Ostalbkreis ist diese Entwicklung der Erinnerungskultur in Baden-Württemberg leider relativ spurlos vorübergezogen. Erst in jüngerer Zeit kamen erste Ansätze zustande, mit der Gedenkstätte Synagoge Oberdorf, die sich der Geschichte der jüdischen Gemeinde Oberdorf widmet, der Verlegung von Stolpersteinen und Veranstaltungen zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. Der Geschichte Aalens als KZ-Standort kann dies alles aber bis heute nicht gerecht werden. Über das Wasseralfinge KZ spricht man nicht, es ist bis heute, 77 Jahre nach seinem Ende, immer noch ein Tabuthema. Das war anderenorts nicht anders, nur wurden die Auseinandersetzungen um die Erinnerung dieser dunklen Kapitel der Lokalgeschichte in anderen Gemeinden und Landkreisen bereits vor 30 Jahren ausgetragen. Der Historiker und Betreuer der Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen, Dr. Marco Brenneisen, hat diese Auseinandersetzungen am Beispiel der KZ-Natzweiler-Standorte in seinem Buch „Schlussstriche und lokale Erinnerungskulturen“  (und einem Podcast) detailliert beschrieben.

Diese Auseinandersetzung steht Aalen noch bevor. Die Veranstaltung „Ulica Tamka 23“ am 8. Mai 2022 in der Aalener Stadtkirche kann nur ein Anfang sein. Vieles ist zu erforschen und zu dokumentieren, rund um die Themen des Aalener KZs, um Zwangsarbeit im Altkreis Aalen, aber auch z.B. um die Nachkriegsgeschichte der „Displaced Persons„. Für den Juni 2022 ist die Gründung einer Gedenstätten-Initiative in Aalen geplant.

Wenn Sie daran interessiert sind, in dieser Gedenkstätten-Initiative mitzuarbeiten, setzen Sie sich bitte mit uns unter in Verbindung.

 

 

Jerzy Baginski

Ich will nicht sterben.

Ich will leben.

Ich bin noch jung.

Um zu leben und zu überleben muss ich

extrem schwer Arbeiten.

Durch diese Arbeit sind schon viele gestorben.

Wie komme ich da raus?

Wer befreit mich aus dieser Situation?

Warum muss ich so leiden?

Wer ist für mein Leiden verantwortlich?

Muss diese Welt so unmenschlich und grausam sein?

(Krzysztof Sola)

 

 

Unser herzlicher Dank gilt allen Mitwirkenden für ihr außergewöhnliches Engagement:

  • Bernhard Richter (Grußwort)
  • Alice Katharina Schmidt (Sprecherin)
  • Krzysztof Sola (Sprecher)
  • Michael Fitzner (Sprecher)
  • Hans-Roman Kitterer (Klavier)
  • Herma Geiß (Konzeption und Text)
  • Rüdiger Walter (Recherche, Konzeption und Text)
  • Mit besonderem Dank an den Bund für Heimatpflege Wasseralfingen (Recherche)

Veranstalter:

  • Evangelische Kirchengemeinde Aalen
  • Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. – RAG Ostwürttemberg
  • Bündnis Aufstehen gegen Rassismus Aalen